Bericht über die Schule Sool im Jahre 1799

 

Schule Sool im Jahre 1799

 

Fassung in heutiger Sprache von Fridolin Baumgartner, Dezember 2019

 

 

 

Beantwortung von Lehrer Joh. Heinrich Ruch über das Schulwesen an die Administratoren der Verwaltungs Kammer deß Cantons Linth, von der Dorff und Agentschaft Sohl. Quelle wird folgende Schule erwähnt:

 

  • Sool (Niedere Schule, reformiert) 

Unsere Dorfschaft ist in zwei Teile geteilt, Ober- und Untersool. Auf Obersool hat es zehn doppelte und neun einfache Häuser, also 29, in Untersool hat es fünf doppelte und sechs einfache, also 16 Häuser. Dann folgen die Häuser, welche teils mehr, teils weniger als eine Viertelstunde entfernt sind. Zur Schule gehören, erstens ein Doppelhaus auf dem Bühl, zwei Doppelhäuser auf dem Glatt (Schlatt ?), zwei einfache Häuser auf Drogseiten, eines auf dem Lauff (?) und drei in der Au, zusammen 12. Dann gibt es drei Häuser, eine halbe Stunde entfernt in der Warth.

 

Alle in den oben erwähnten Häusern wohnenden Bürger gehören in die Gemeinde und Pfarrkirche Schwanden. Zu erwähnen ist, dass in der Warth noch vier Häuser sind, deren Bewohner Tagwensleute in Mitlödi sind und auch dort pfarr- und kirchengenössig. Aber zur Zeit, als wir unseren Schulfond zusammenlegten, zahlten sie auch daran mit dem Wunsch, dass sie ihre Kinder auch in unsere Schule schicken durften. Diese vier Häuser können also mitgezählt werden. Also sind es alles in allem 64 Häuser.

 

  Früher waren wir schulgenössig nach Schwanden, unserer Pfarr-Gemeinde. Am 29. Mai 1785 stifteten wir einen eigenen Fond. Ursache war die traurige Lage, dass wir einsahen, dass unsere Nachkommen alle verwildert sein werden, denn man schickte keine Kinder mehr in die Schule nach Schwanden. Der erste Grund war, dass der Haufen und die Menge der Kinder dort zu gross war und es mit nur einem Schulmeister nicht möglich war, dass sie etwas lernen konnten. Zweitens hatten wir viele arme Leute im Dorf, die es nicht vermochten, ihre Kinder so zu kleiden, dass sie sie an einen Ort schicken konnten, der eine halbe Stunde entfernt war. Drittens: wenn man einige im Sommer schickte, kamen sie eine Stunde zu spät oder oft gar nicht zur Schule. Die Knaben prügelten sich und rauften miteinander. Sie schlugen einander und zerkratzten einander die Gesichter. Wenn sie nach Hause kamen, war die Kleidung zerrissen und das Gesicht unkenntlich. Die Mädchen schauten ihnen zu. Oft brachten sie ihre Kleider auch zerrissen heim und dann war es so: Wenn die Kinder im Sommer ein paar Buchstaben gelernt hatten und ihre Eltern konnten nicht lesen, waren sie im Jahr darauf ebenso gescheit wie vorher und man muss es euch Bürger Administratoren sagen, dass es im Winter unmöglich war, Kinder in die Schule zu schicken wegen der Unsicherheit des Weges. Es war im Sommer nicht sicher wegen der Felsen und Steinen, die aus dem Gebirge oft und viel herabrollen, im Winter wegen der Glätte des Berges wegen der erwachsene Leute, wenn sie nicht gute Zacken an den Schuhen haben unmöglich über das Eis hinab konnten und dann ist oft geschehen und wird auch jetzt geschehen, dass es Lawinen gibt, die wenn sie grosse oder kleine Leute erwischen würden, sie bedecken würden oder dass sie sogar darin umkämen oder wie könnte ein kleines Kind bei Sturmwind und dazu noch schlecht gekleidet bei Schneegestöber, bei grossem ungeräumtem Schnee den Weg dorthin machen können; auch im Sommer bei Donner, Blitz und Hagel. Wie manchen Seufzer hat es bei den Eltern gegeben und wie oben angemerkt, waren wir, vor allem unsere Nachkommen ganz verwildert worden. Aber wir haben zu allen Zeiten gute und rechtschaffene Bürger gehabt und haben, Gott sei es gedankt, obschon bei vielen grosse Armut herrschte, dennoch viel und gut gesinnte Leute, die uns dazu bewogen haben, ein Schulgut zu stiften. Wir ernannten zwei Männer, die von Haus zu Haus gingen um jeden zu ermahnen, an das begonnene Werk ein Opfer beizutragen. Wir brachten einen schönen freiwilligen Fond zusammen. Allerdings mussten die Kinder etliche Jahre nachher noch monatlich etwas bezahlen. Nach und nach gab es ein neues Gesetz, das obrigkeitlich bewilligt wurde, dass einer, der Hochzeit machte eine Steuer von einem neuen Taler bezahlen musste, wenn ein Knabe geboren wurde musste man 37 ½ Gulden zahlen, bei einer Tochter 25 Gulden. Auf diese Weise stieg unser Fond mit den 100 Gulden, die uns die Obrigkeit gab, auf 1220 Gulden.

 

  Wir hoffen, dass wir auch weiter mit dem Geld der Obrigkeit rechnen können, damit unsere Schule weiter bestehen kann. Sonst wäre es nicht möglich, denn wir geben dem Schulmeister als jährlichen Lohn samt Trinkgeld 60 Gulden. Schulhaus haben wir keines. Wir unterhalten die Schule im Privathaus von Johann Jenny. Im Winter muss jedes Kind täglich ein Holzscheit bringen. Schule wird das ganze Jahr über jede Woche an sechs Tagen gehalten, von 8 Uhr bis 11 Uhr. Für die Schulstube müssen wir 8 Gulden geben. Also beträgt die ganze Ausgabe 68 Gulden. Nun hat man vom Fond 4 ½ % Zins bekommen. Damit können die Kosten bis auf weniges bezahlt werden. Den Rest bezahlt das Gemeinwesen (Tagwen).

 

  Dazu ist zu bemerken, dass, wenn uns nicht geholfen würde, mit den Hochzeits-Steuern und den Steuern für neugeborene Kinder fortgefahren werden müsste, da wir sonst keine anderen Quellen hätten, den Schulmeister zu entlöhnen.

 

Wie schon angemerkt, ist das Schulhaus in Schwanden eine halbe Stunde von unserem Ort entfernt. Nidfurn, eine Stunde entfernt von uns, hat jetzt wie wir in gleicher Zeit auch eine eigene Schule gestiftet. Haslen, eine Stunde von uns hat in gleicher Zeit eine Schule gestiftet. Schwändi, eine Stunde von uns hat in gleicher Zeit eine Schule gestiftet. Wir und die erwähnten drei Dorfschaften gehörten zur Schule Schwanden und hatten Anteil daran. Wir dachten, es sei nur billig und gerecht, wenn sie uns jährlich etwas von den Schulgütern abgeben würden. Allein, sie gaben uns zur Antwort, wir könnten unsere Kinder zu ihnen in die Schule schicken. Mitlödi ist eine eigene separate Gemeinde und ist durch einen steilen und sehr rauhen Weg ½ Stunde von uns entfernt.

 

  In Beantwortung der Frage, was in der Schule gelehrt werde, ist dieses die Form der Buchstaben, danach das Buchstabieren nach der jetzigen Methode. Wenn sie fertig buchstabieren können, lernen sie Lesen. Was die Schulbücher betrifft, hat man hier allerhand nützliche Schulbücher von unterschiedlichen Autoren. Man bedient sich an schönen neuen Lesebüchern und moralischen Büchern.

 

  Wie lange täglich Schule gehalten wird, ist oben schon angemerkt worden. In dieser Schule gehen alle Kinder in eine Klasse. Was den Namen des Schulmeisters betrifft, heisse ich Joh. Heinrich Ruch, aus der Pfarr-Gemeinde Mitlödi gebürtig und auch da wohnhaft. Ich muss jeden Tag nach Sool hinaufgehen, um Schule zu halten. Was mein Alter betrifft, bin ich geboren im Jahr 1747 den 5. Heumonat, bin also bald 52 Jahre auf diesem Erdball. Ich bin Vater von neun Kindern, von denen aber acht das Zeitliche verlassen und den besseren Teil erwählt haben. Jetzt habe ich noch eins und ein Stiefkind.  Ich soll auch angeben, wie lange ich Schullehrer gewesen bin. Da kann ich mit Wahrheit bezeugen, dass ich jederzeit allbereit zwanzig Jahre im Schuldienst verbracht habe.

 

  Ausserdem soll ich angeben, wo ich vorher war und was für einen Beruf ich hatte. Ich war vom 12. Altersjahr an fünf Sommer lang in Augsburg wo ich meiner Herrschaft treu und redlich diente. Nachher wollte ich mein Glück in Deutschland und Frankreich mit einem kleinen Handel probieren. Ich machte aber schlechte Erfahrungen.

 

  Was ich neben dem Lehramt für Verrichtungen zu machen habe: Ich mache mancherlei im Haus, im Holz und auf dem Feld. Es ist leicht zu erraten, dass man mit dem oben erwähnten Lohn von 60 Gulden seine Zeit nicht müssig zubringen kann, aber ich habe mich mit diesem Gehalt die ganze Zeit durchgebracht, auch wenn es kümmerlich ist, und dies auf ehrliche Weise.

 

  Die Anzahl Kinder, die diese Schule besuchen beläuft sich auf 60: 32 Knaben und 28 Mädchen.

 

 

 

Eine seltsame Schule

 (um 1800)

 

  Päng! Schulmeister Levi Heftis Haselstock saust knallend auf den schwarzen Pultdeckel. Aber keines der Kinder beachtet des Lehrers funkelnde Augen, mit denen er Ruhe gebietet. «So seid einmal still, ihr Sakramenter und hockt ab! Hört ihr?» Wieder kracht es auf dem Pult. Endlich wird es still. Nur das Poltern der Holzschuhe ist gelegentlich hörbar. «So, jetzt wollen wir in Gottes Namen anfangen!», verkündet Hefti, «zuerst kommt das Lied.» Tapfer brüllen die Kinder den Psalm Davids, dass die Butzenscheiben der niedern, dunklen Stube leise mitklirren, besonders, wenn der Schulmeister den Takt klopft. Es ist ein kräftiges Morgenkonzert! Niemand findet es verwunderlich, dass sich alle Augenblicke die Türe öffnet und ein paar Nachzügler eintreten. Mit Schwung schmettern sie ein mit-gebrachtes Holzscheit hinter den Kachelofen; denn zur Winterszeit müssen die Schüler selbst für Brennholz sorgen. Dann stampfen sie gemütlich an den Platz, wo die Buben maulend zusammenrücken. Zuletzt erscheint sogar des Ruchenachers-Schaaggen Bub. Der kommt nur selten zur Schule, wenn es daheim gerade nichts zu hüten, holzen, heuen oder misten gibt. Im Sommer fehlt mehr als die Hälfte der Kinder; denn sie müssen in der Fabrik oder auf den Gehöften helfen. Der Pfarrer mahnt zwar die Eltern immer wieder, ihre Kinder zur Schule zu schicken. «Schon recht, Herr Pfarrer», erwidert man ihm oft, «aber unsere Gofen sollen werchen und gwirben lernen; das nützt ihnen mehr als das Teufelszeug, das ihnen der Hefti beibringt!» Was ist da zu machen?

 

  Der Gesang nähert sich der zwölften und letzten Strophe. Hefti besteigt sein Ross. So nennen die Schüler das hohe Pult, auf dem der Lehrer den ganzen Tag thront. «So, jetzt kommt das Lesen!», befiehlt der Schulmeister und lässt abermals den Stock niedersausen. Päng! «Der erste!» Ein kleiner Knabe zwängt sich aus der engen Bankreihe und bringt einen alten Appenzellerkalender zum Ross. «Chusch es?», brummt Hefti. Der Kleine nickt. Dann buchstabiert er mühsam einige Sätze, ohne den Inhalt zu verstehen. Aber dem Schulmeister ist das gleichgültig. Seine Schüler müssen in den drei bis vier Schuljahren nur Gedrucktes lesen können; mehr verlangen die Bauern nicht von ihm. «So isch recht!», lobt Hefti, «auf morgen lernst wieder vier Sätze!» Päng ! So geht es den ganzen Vormittag über. Schüler um Schüler tritt ans Pult, gackst das Gelernte aus irgend einem Büchlein und erhält eine neue Aufgabe. Ein Leiern, Schnattern und Scharren erfüllt die Stube. Dazu schweben verschiedene Gerüchlein aus den Bänken; denn nicht alle Kinder kommen gewaschen zur Schule. Einige Mädchen kratzen sich verdächtig häufig in den Zöpfen; mehrere Knaben tragen «Rufen» oder gar «Krätzen» im Gesicht und an den Händen. Aber das stört weder den Schulmeister noch die Eltern.

 

  Am Nachmittag wird zuerst gerechnet. Heftis Schüler kennen nur die Bauernzahlen (römische Zahlen), wie sie am Kirchturm zu sehen sind. Vor der Schreibstunde schneidet der Lehrer die Gänsekiele zurecht, so daß man feine Haar- und Schattenstriche malen kann. Auf die geflammten Schleifen und Verzierungen hält Hefti grosse Stücke. Aber selten kann ein Schüler so schön ringeln und schnörkeln, wie es die vergilbte Tabelle an der Wand verlangt. In der Schreibstunde ist es meist recht still. Nur die Gänsefedern kratzen über das rauhe Papier, das die Kinder wie alle andern Schulsachen selbst mitbringen müssen. Von Zeit zu Zeit lassen sie aus dem Streusandbüchslein feinen Sand auf die feuchte Schrift rieseln damit sie rascher trockne. Darauf bläst man den Sand mit Vorliebe dem Vordermann in den Nacken.

 

Heute sind die Schüler besonders fleissig, denn sie arbeiten an der Examenschrift. Man weiss, dass sie vom Herrn Pfarrer und dem Stillstand (Kirchen- und Schulrat) beurteilt wird. Des Nachtwächters This glüht vor Eifer. Letztes Jahr war er der beste Schüler gewesen. Der Herr Pfarrer hatte ihn vor der ganzen Gemeinde gerühmt. This hatte in der Kirche zum Taufstein stehen müssen, wo ihm ein Ratsherr ein feines Medaillon aus Silberdraht mit einem langen, himmelblauen Seidenband um den Hals gehängt hatte. «Lehr gibt Ehr», stand auf der blanken Brosche. «Heuer will ich wieder den ersten Preis», nimmt sich This vor und freut sich bereits auf die neidischen Blicke seiner Mitschüler, die sich mit einem «Examenmureli» zufrieden geben müssen.

 

  Schulmeister Hefti kramt unterdessen umständlich eine Prise Schnupftabak aus der Hosentasche, schüttet sie als kleines Mädlein auf den Handrücken und saugt den Tabak geräuschvoll in die Nase hinauf. «Hatschi ! Hatschi ! » dröhnt es durch die Stube, und jedesmal brüllen die Schüler: «Gsundheit, Schuelmeischter!» Hefti nickt gnädig und befriedigt. Ja, ja, in seiner Schule weiss man, was Anstand ist.

 

  Mit ausgeklügelten, strengen Strafen versteht Hefti, seine Schar im Zügel zu halten. Wer schwatzt, erhält eine Tatze, wer ein Mädchen mit den Zöpfen an der Bank festbindet, eine Ohrfeige. Die Buben müssen sich zur Strafe zu den Röcklein setzen. Die Lügner stellt der Schulmeister mit einem Knebel in den Mund in den Schandwinkel. Ganz arge Sünder klemmt er zwischen den Knien fest und versetzt ihnen einen "Hosenspanner", dass der Staub emporwirbelt.

 

Langsam schleicht der frühe Winterabend in den niederen Raum. Aus dem Zeithäuschen schnarren vier magere Schläge. Die Schüler schmeissen ihre Sachen unter die Bankdeckel, und auf ein erlösendes Zeichen des Lehrers stieben sie lärmend ins Freie. Bald darauf stapft Hefti seinem Gaden zu. Im Nebenberuf ist er Bauer, weil er aus dem geringen Schulmeisterlöhnlein von 60 Gulden nicht leben könnte.

 

 

 

  So sah es ums Jahr 1800 in den meisten Glarner Schulen aus. Die Kinder der Wohlhabenden jedoch besuchten Privatschulen, wo ein regelrechter Lehrer im Sinne Pestalozzis neuartigen Unterricht erteilte. Von 1832 bis 1842 sorgte der evangelische Schulverein dafür, dass die Lehrer besser ausgebildet wurden. Bald erbauten alle Gemeinden neue, helle Schulhäuser. Besondere Verdienste erwarben sich dabei der Matter Pfarrer Jakob Heer (1784 bis 1864) und Landammann Dietrich Schindler von Mollis (1795 bis 1881).

 

 

 

Quelle: Glarner Heimatbuch, 1965

 

 

 

 

 

 

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